Prof. Dr. Harald Thun

Abstract

Die Dialekttypologie E. Coserius und die Ausbildung neuer Sprachen. Drei Fallstudien zum Sprachkontakt in Lateinamerika im Vergleich

Harald Thun, Universität Kiel

Eugenio Coseriu hat seine bekannte Dialekttypologie, in der er primäre, sekundäre und tertiäre Dialekte unterscheidet, für die Romania, insbesondere für die Hispanoromania, einschließlich Hispanoamerikas, entwickelt. Dort schafft sie zweifellos Ordnung in der Betrachtung des Varietätengefüges,  und sie  ist durch die Zuordnung von Regionalsprachen zu den tertiären Dialekten ein wichtiger Vorgriff auf das Konzept des Substandards.  Im Prinzip lässt sich diese Typologie  auch auf andere Sprachkomplexe übertragen. Überall dort, wo es  ebenfalls Dialekte gibt, die so alt sind wie die Varietäten, aus denen die Gemeinsprache entstanden ist, kann von primären Dialekten gesprochen werden; jeder Dialekt, der sich aus einem anderen entwickelt, kann als sekundärer Dialekt gelten und jeder Dialekt, der eine Gemeinsprache als Basis hat, darf als tertiärer Dialekt bezeichnet werden. Die Frage ist nur, ob wir mit dieser Typologie der ganzen Sprachwirklichkeit gerecht werden. Anhand von Material, das mehrere Kollegen und ich für den Atlas Lingüístico Diatópico y Diastrático del Uruguay, für den Atlas Lingüístico Guaraní-Románico und für den Atlas Linguístico das Minorias Alemãs da Bacia do Rio da Prata – Hunsriqueano zusammengetragen haben, möchte ich dieser Frage in Hispanoamerika nachgehen und an einigen Fallstudien (Spanisch und Portugiesisch in Uruguay; Spanisch und Guaraní in Paraguay; Hunsrückisch und Hochdeutsch/Portugiesisch/Spanisch/Guaraní in Brasilien, Argentinien und Paraguay) zeigen, dass Coserius Typologie allzu statisch ist und deshalb Auflösungsprozesse und Abbauphänomene schlecht in den Blick bekommt und dass sie dem in Amerika allgegenwärtigen  Sprachkontakt fast gar keine Beachtung schenkt. Durch Sprachkontakt können aber  radikale Umformungsprozesse ausgelöst werden können hat, die manchmal sogar  in die funktionale Typologie eingreifen, so dass  neue Sprachen entstehen.

 

Harald Thun, Kurzer Lebenslauf

*7 VIII 1945 in Falkenberg / Pommern. Studium der Geschichte, des Französischen und der Philosophie in Kiel, Tübingen und Pau / Frankreich. Maîtrise de Lettres Modernes,  Staatsexamen, Promotion (Probleme der Phraseologie), Habilitation (Personalpronomina für Sachen), Assistent bei E. Coseriu, dann bei H. Geckeler in Münster, Lektor für Deutsch in Bukarest, Gastprofessuren in Montevideo, Porto Alegre, Londrina, Bahia, João Pessoa, Asunción.

Forschungsschwerpunkte: Romanische Phraseologie, Pronominaltheorie, Existimatoren /Modalwörter, Pluridimensionale Dialektologie ( Trilogía rioplatense –zwei DFG–Projekte und ein A.v.Humboldt-Projekt:  Sprachatlanten zu Uruguay, Paraguay / Nordostargentinien / Südwestbrasilien, zu deutschen Minderheiten im La Plata-Raum) , Diachronie des Guaraní auf der Grundlage eigener Editionen von Altguaranítexten, Geschichte des französischen Substandards (DFG-Projekt: Corpus Historique du Substandard Français).

Früher DFG-Gutachter und Vorsitzender des Deutschen Romanistenverbandes.